Sport als Katalysator für Integration
Iranischer Flüchtling und Mountainbiker aus Friedrichsdorf trainiert für WM Wer Parham Shahsavari in der Friedrichsdorfer Flüchtlingsunterkunft Max-Planck-Straße antreffen will, braucht etwas Glück, denn meistens ist der 20-jährige Iraner mit seinem Mountainbike irgendwo im Taunus unterwegs, je holpriger, desto besser. Parham Shahsavari, zweifacher iranischer Landesmeister in seiner damaligen Altersklasse U19 und Silbermedaillengewinner bei der jüngsten Hessenmeisterschaft trainiert nämlich für die Weltmeisterschaft der Mountainbiker Ende August in Andorra.
Geflüchtete, die noch keine Arbeitserlaubnis haben, haben sehr viel Zeit und leider nicht immer die richtige Verwendung dafür. Bei Parham Shahsavari ist das anders. Der 20-jährige Iraner lebt seit seiner Ankunft in Deutschland vor gut einem Jahr in der vom DRK-Kreisverband Hochtaunus betriebenen Gemeinschaftsunterkunft in der Friedrichsdorfer Max-Planck-Straße, ist dort aber nur selten anzutreffen, weil er ständig mit seinem Mountainbike im Taunus unterwegs ist. Er trainiert für die Weltmeisterschaft der Cross-Country-Fahrer, die in diesem Jahr vom 28. August bis zum 1. September in Pal Arinsal/Andorra ausgetragen wird. Ob der drahtige Radsportler tatsächlich
daran teilnehmen kann, war lange noch etwas unsicher, nun aber ist es fix: Er darf teilnehmen. Zum Üben hat er unlängst an einem Weltcup-Rennen im schweizerischen Crans-Montana teilgenommen, musste aber wegen eines Materialschadens aufgeben. Parham Shahsavari startet bei der WM in der Altersklasse U23 als Mitglied eines „Refugee-Teams“ gemeinsam mit anderen Geflüchteten, die nach ihrer Flucht noch keine Staatsbürgerschaft in einem europäischen Land haben und deshalb auch noch keine Startberechtigung in einer Nationalmannschaft haben.
Parham Shahsavari hat in seinem noch jungen Leben bereits einiges im wahrsten Sinne „auf die Kette gebracht“. Im Büro des pädagogischen Mitarbeiters der Einrichtung, Ahmed Demirovic, berichtet er von seiner durchaus ungewöhnlichen Karriere als Sportler. Begonnen hat alles in seiner Heimatstadt Karaj, eine Großstadt nahe Teheran. Dort hat Parham Shahsavari ein Sportgymnasium besucht und eigentlich eine Leidenschaft für Volleyball entwickelt, bis ihm ein Trainer sagte, dass er es als Talent im Radsport viel weiterbringen könne. Parham Shahsavari sattelte im wahrsten Sinne um, wurde Biker und in der Folge dann 2021 zweimal iranischer U19-Landesmeister auf der Straße und im Gelände. Dann kam die Flucht aus religiösen Gründen, über die er nicht viel erzählt, nur so viel: Er kam weitestgehend zu Fuß nach Deutschland und schließlich in der Unterkunft in Friedrichsdorf an. Nach nur rund einem Jahr spricht Parham Shahsavari fast fließend Deutsch. Sobald seine iranischen Diplome in Deutschland anerkannt sind, will er ein Studium in Sportmanagement aufnehmen.
Über einen bereits vor Jahren nach Bad Krozingen bei Freiburg gekommenen Landmann und Freund, der Cross-Country-Trainer ist, ergab es sich, dass er Anschluss an den nordhessischen MT Melsungen fand, der seitdem sein Heimatverein ist. Auch dort erkannte man schnell, welches Potenzial in den jungen Mann steckt. Der Vorstand entschied, dass man Parham Shahsavari fördern muss, denn ohne passendes Material könnte er es in der Liga, in die er nach einem 2. Platz bei der Hessenmeisterschaft und den Erfolgen in Iran sportlich hingehöre, kaum in die Spitzengruppe schaffen. Der Verein beschloss deshalb, ihm zwei Räder zu Trainings- und Wettbewerbszwecken leihweise zur Verfügung zu stellen und ihn auch logistisch bei der Teilnahme an internationalen Wettbewerben, wie dem Weltcup in der Schweiz und der WM in Andorra, zu unterstützen. Es handelt sich dabei um High-Tech-Sportgeräte. Über eine Bluetooth-Anbindung, die am Pedal befestigt ist, steht er in ständigem Kontakt mit seinem Trainer, auch wenn der im Südschwarzwald auf seiner Terrasse sitzt, während sein Schützling Parham gerade über den Pumptrack des Friedrichsdorfer Bike-Parks heizt oder zum Feldberg hinauf flitzt. „Herzfrequenz, Leistung, Tempo – alles wird übers Handy an meinen Trainer weitergeleitet“, erzählt er. Wo andere Radfahrer die Gänge mittels Bowdenzugs wechseln, erledigt das an Parhams Rennmaschine, die nur ganze zehn Kilo auf die Waage bringt, die Elektronik per Knopfdruck vom Lenker aus, ohne Kabel. Fünfmal pro Woche steigt Parham Shahsavari zu Trainingszwecken in den Sattel, 300 Kilometer pro Woche sind Standard, im Sommer auch mal mehr. Und wenn es einmal schnell gehen muss, ist es zum Bike-Park nur einmal über die Straße. Parham Shahsavari fährt natürlich am liebsten bei schönem, warmen Sonnenwetter, seine Wohlfühltemperatur liegt zwischen 10 bis 18 Grad. Regen hält ihn aber auch nicht ab, seinen Trainingsplan zu erfüllen. Die Gefahr, sich durch Stürze zu verletzten, auch nicht. Etliche Narben an Armen und Beinen erinnern ihn immer wieder an den einen oder anderen unfreiwilligen Abstieg: „Das gehört bei unserem Sport dazu, Angst ist da ein schlechter Begleiter“, sagt er und lacht dabei.
Sein nächstes Ziel? „Bei der WM in Andorra gut abschneiden“, sagt er ohne lange nachzudenken. Und dann? „Vielleicht einmal Deutscher Meister oder Weltmeister werden, als Deutscher“, meint er und fügt selbstbewusst hinzu, dass „Olympia“ unter Umständen auch eine Option wäre. Nach Abschluss seines Studiums in Sportmanagement will er als Berufstrainer arbeiten, natürlich im Radsportbereich…
Als sein Betreuer in der Gemeinschaftsunterkunft platzt Ahmed Demirovic fast vor Stolz, so jemanden wie Parham Shahsavari unter seinen Schützlingen zu haben. Er fördert ihn nach Möglichkeit, wo es nur geht. Eine Sonderstellung unter den 110 Bewohnern aus 13 Nationen habe er nicht, wolle er aber auch nicht haben, er sei ein ganz normaler, freundlicher Mitbewohner ohne Starallüren. Und dennoch: Wenn er sich Ende August auf den Weg nach Andorra macht, werden in der Max-Planck-Straße sicher viele Daumen gedrückt.
Daumen gedrückt werden auch beim DRK-Kreisverband. Sebastian Fischer, stellvertretender Geschäftsführer und Bereichsleiter Soziale Dienste, zeigt sich von der Leistungsbilanz und dem Ehrgeiz des Iraners beeindruckt, zeige es doch, dass Geflüchtete durchaus ihren Platz in der Gesellschaft haben können, der Sport sei da ein guter Katalysator. Dass der Melsunger Sportverein Parham Shahsavari das durch die Bereitstellung der teuren Ausrüstung als Talentförderer ermöglicht, sei aller Ehren wert, sagte Fischer.
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Wenn es einmal schnell gehen muss oder wenn es um eine kurze Trainingseinheit geht, findet Parham Shahsavari auf dem Friedrichsdorfer Bike-Park beste Bedingungen für seinen Sport vor, er muss dazu nur einmal über die Straße – praktischer geht es kaum. Foto: DRK-Pressestelle