Internationales Flair und Gänsehaut pur im Schein von 8.000 Fackeln
Eine Reise zur Entschlüsselung der DNA des Roten Kreuzes Die „Schlacht von Solferino“ vom 24. Juni 1859 gehört mit 50.000 Gefallenen zu den blutigsten und schrecklichsten Schlachten der europäischen Geschichte. Doch sie hatte auch etwas Gutes, führte sie doch zur Gründung der internationalen Rotkreuzbewegung durch den schweizerischen Geschäftsmann Henry Dunant. In Erinnerung daran treffen sich in dem kleinen Ort in der Lombardei südlich des Gardasees alljährlich zum Jahrestag der Schlacht Tausende Rotkreuzler aus aller Herren Länder zur internationalen „Fiaccolata“. Diesmal waren auch 50 Rotkreuzhelfer aus dem Hochtaunus dabei – Fackeln in der Hand und Gänsehaut auf dem Rücken…
Die Fiaccolata (italienisch für Lichterprozession oder auch Mahnwache) ist eine seit 1992 jährlich stattfindende Gedenkfeier in und um den 30 Kilometer vom Südufer des Gardasees entfernt liegenden Ort Solferino in der Lombardei, die das „Croce Rossa Italiana“ (CRI), das italienische Rote Kreuz, in Erinnerung an die fürchterliche „Schlacht von Solferino“ alljährlich veranstaltet. Es war die Entscheidungsschlacht im Sardinischen Krieg zwischen dem Kaiserreich Österreich und dem Königreich Sardinien mit dessen Verbündetem Frankreich unter Napoleon III. Sie endete am 24. Juni 1859 mit der Niederlage der Österreicher und dem Tod von 50.000 Soldaten an nur einem Tag. Die grausame Schlacht war Anlass für den schweizerischen Geschäftsmann Henry Dunant, den Grundstein für die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung zu legen, indem er sich aufopfernd um die Verwundeten und Sterbenden kümmerte. Mit der Fiaccolata wird alljährlich am Samstag vor oder nach dem 24. Juni die etwa 9 Kilometer lange Straße von Solferino nach Castiglione delle Stiviere im Schein vieler tausend Fackeln abgelaufen. Die Strecke soll den Weg nachzeichnen, den freiwillige Helferinnen aus Castiglione damals unter Leitung von Henry Dunant nahmen, um Verletzte, unabhängig davon, auf welcher Seite sie gekämpft hatten, vom Schlachtfeld zu ihrem Ort zu bringen und sie dort zu versorgen, viele von ihnen bis zu ihrem Tod. Dunant wurde für seine Initiative, die zur Basis der Genfer Konvention wurde 1901 mit dem ersten Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
In diesem Jahr haben etwa 9.000 Rotkreuz-Helfer aus 60 nationalen Gesellschaften des internationalen Roten Kreuzes, des Roten Halbmondes und des Roten Kristalls bei tropischer Hitze und Temperaturen nahe 30 Grad noch um Mitternacht an der Lichterprozession teilgenommen, darunter auch eine 50-köpfige Delegation des DRK Kreisverbandes Hochtaunus. Die Idee dazu war im vergangenen Jahr bei einem Fackellauf quer durch Europa mit Ziel Solferino geboren worden. Dabei war die Fackel von DRK-Mitgliedern auch durch den Hochtaunuskreis getragen worden.
Vor der „Fiaccolata“ am Samstagabend hatte die Gruppe in Solferino und Castiglione mehrere Museen besucht, um sich so einen Überblick über die Geschehnisse des Juni 1859 zu verschaffen. Einer der Höhepunkte der Reise war die schweißtreibende Besteigung des Turms von San Martino della Battaglia, eine der interessanten Erfahrungen während der Reise. Dieser Turm wurde in Erinnerung an König Vittorio Emanuele II. und diejenigen errichtet, die für die Unabhängigkeit und Einheit Italiens gekämpft hatten. Der 87 Meter hohe Turm befindet sich auf dem höchsten Hügel von San Martino della Battaglia und bietet einen eindrucksvollen Überblick auf die Umgebung des Schlachtfeldes. Eindrucksvoll und bewegend auch der Besuch des Beinhauses, in dem tausende, teils von Schusswunden grässlich gekennzeichnete Schädel von Gefallenen unabhängig von ihrer Herkunft Seite an Seite zum Mahnmal gegen einen menschenverachtenden Krieg gewissermaßen einträchtig nebeneinanderliegend ihre letzte Ruhe gefunden haben. Das Gebeinhaus ist insofern ein Statement gleich für mehrere der sieben Grundsätze der Rotkreuzbewegung: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität.
Dieser Geist setzte sich auch in der riesigen, multikulturellen Auftaktveranstaltung auf dem Marktplatz von Solferino zu Beginn der vierstündigen „Fiaccolata“ mit Ansprachen, unter anderem des Präsidenten des CRI, Rosario Volastro, Musik und Tanz fort. Viele der internationalen Teilnehmer tauschten ihre Polohemden und Mützen, sodass am Ende kaum noch auszumachen war, aus welchem Land sie kamen – Schulterschluss über Grenzen hinweg.
Für die 50 Teilnehmer aus dem Hochtaunuskreis war dieses unvergessliche Erlebnis zwei zermürbende, 12-, bzw. 14-stündige Busreisen allemal wert und sorgte bei vielen noch im Nachhinein für Gänsehaut. Joachim Kebbekus vom Ortsverein Kronberg ist begeistert: „Es waren tolle, intensive Tage, ein echtes Erlebnis, das eine Wiederholung verdient.“ Oliver Schneider, Ortsverein Friedrichsdorf, meinte zum Abschied: „Für mich war die Fackelwanderung ein ganz besonderes Erlebnis, da wir viele Menschen getroffen haben. Obwohl wir uns vorher nicht kannten, waren wir uns sehr nahe, weil wir alle der gleichen Idee folgen. So haben wir mit Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen einen wunderbaren Tag in Solferino und Castiglione mit tollen Gesprächen, Gesängen und Begegnungen gehabt.“ Und Dominik Born (Ortsverein Usingen) meinte: „Ich fand die Party am Anfang wegen der Offenherzigkeit und der Freundlichkeit der internationalen Kollegen wunderbar. Das Beeindruckendste aber war der herzergreifende Fackellauf mit seiner tollen Stimmung und so vielen wunderbaren Menschen.“
Beeindruckt von der Internationalität der Begegnung, der grenzenlosen Stimmung und Herzlichkeit der Begegnungen sowie der perfekten Organisation der italienischen Kollegen zeigten sich nach der glücklichen Rückkehr in den Taunus auch DRK Kreisgeschäftsführer Heiko Selzer und Ehrenamtskoordinator Mark Henning: „Tolle Erfahrungen, die Lust auf mehr machen…“
Bildtexte:
Henry Dunant
Henry Dunant, dem Gründer der internationalen Rotkreuz-Bewegung, ist dieses lebensgroße Denkmal in Solferino gewidmet
Solferino1 - Solferino3
Rund 9.000 DRK-Anhänger aus 60 Nationen haben an der stimmungsvollen „Fiacciolata 2023“ zum Jahrestag der Schlacht von Solferino teilgenommen.
DRK Solferino4
Nach der Besteigung des 89 Meter hohen Turms von San Martino musste dieses Gruppenbild der DRK-Delegation aus dem Hochtaunus einfach sein.