Alleinsein kann mal ganz schön sein, zur Last werden darf es jedoch nicht Wohlfahrtsverbände im Hochtaunus bieten der Einsamkeit gemeinsam die Stirn
Nicht jeder Mensch, der allein ist, ist auch gleich einsam. Alleinsein wird erst dann zum Problem, wenn es nicht mehr selbstgewählt ist, sondern von den Umständen aufgezwungen wird. Das führt dann zur seelischen Belastung, zu Unwohlsein und schlimmstenfalls zu psychischer Beeinträchtigung. Die Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände im Hochtaunus hat sich unter dem Titel „Gemeinsam gegen einsam“ dem Thema bei ihrem 2. Sozialkongress genähert und dabei Wege aufgezeigt, dem ungewollten Alleinsein entgegenzuwirken.
Während der Corona-Pandemie war der Umgang mit dem zur Einsamkeit mutierten Alleinsein ein großes Problem, dem sich die „Liga“, die Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände im Hochtaunus, bereits in ihrem 1. Sozialkongress im Kirdorfer Bürgerhaus vor zwei Jahren gewidmet hat. In der „Liga“ arbeiten die Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Hochtaunus, vertreten durch Birgit Müller-Isselhorst, der Caritasverband Taunus, beim Sozialkongress vertreten durch Eugenie Riffel, die Regionale Diakonie Hessen-Nassau Hochtaunus mit Stefanie Limberg, der Verein Perspektiven, der Eberhard Emrich als Gesprächspartner entsandt hatte, sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband Regional-Geschäftsstelle Frankfurt, vertreten durch Franziska Zühlsdorff, und der DRK-Kreisverband Hochtaunus zusammen. Das DRK hatte bei diesem 2. Sozialkongress mit seinem stellvertretenden Geschäftsführer Sebastian Fischer den Vorsitz.
Die unter dem Dach der Liga kooperierenden Verbände suchen bei untereinander wechselndem Vorsitz gemeinsam nach Auswegen aus gesellschaftlichen Problemstellungen. Thema des diesjährigen Sozialkongresses im Kirdorfer Bürgerhaus war „Gemeinsam gegen einsam“. Eröffnet wurde die von etwa 100 Interessierten besuchte Tagesveranstaltung von Turgut Yüksel, Mitglied der SPD-Fraktion des Hessischen Landtags.
Das Thema des Tages reihte sich nahtlos an den die Pandemie aufarbeitenden Sozialkongress von vor zwei Jahren an: „Gemeinsam gegen einsam“ ist ein vom Bundessozialministerium angestoßenes Programm. Mit Dr. Claus Wendt, Professor an der Universität Siegen mit einem Lehrstuhl für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems, war das Podium, das von Dr. Winfried Kösters moderiert wurde, hochkarätig besetzt. Dr. Wendt lehrt seit 2009 Professor an der Universität Siegen. Er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befassen sich am Lehrstuhl mit gesundheitlicher Ungleichheit, Alter und Gesundheit sowie Gesundheitsverhalten. Wendts Forschungsschwerpunkt ist der internationale Vergleich von Gesundheitssystemen. Deutschland hinke da vor allem hinter den skandinavischen Ländern deutlich hinterher, was sich häufig besonders in der mangelhaften Nachsorge etwa nach Krankenhausaufenthalten zeige, bei der alleinstehende, ältere Menschen oft viel zu früh und ohne die gerade in dieser Zeit der Rekonvaleszenz sich selbst überlassen werden. Einsamkeit entstehe aber auch im privaten Bereich durch auseinanderfallende Familienstrukturen. Wendt kam in seinem Vortrag zu dem Schluss, dass es an einem gut funktionierenden Sozialstaat ist, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich ein möglichst vielfältiges Vereinsleben entwickeln und Bestand haben kann. In Vereinen werde Einsamkeit in besonderer Weise vorgebeugt, das gelte es zu fördern, sagte Wendt. Gerade in Vereinen könnten ältere Menschen auch Jüngere an ihren Lebenserfahrungen teilhaben lassen, was dann beiden das Gefühl geben könne, nicht allein zu sein und gebraucht zu werden.
„Wir dürfen hier vor allem auch die pflegenden Angehörigen nicht vergessen, die ihre vielleicht dementen oder bettlägerigen Familienangehörigen sicher über Jahre mit großer Empathie und Geduld, oft bis zur Selbstaufopferung, pflegen, dabei aber selbst vereinsamen, weil ihre eigenen Kontakte in die Gesellschaft dabei auf der Strecke bleiben“, sagt Sebastian Fischer. Er regte die Schaffung eines Netzwerkes an, in dem sich aktive oder ehemals aktive pflegende Angehörige zum Erfahrungsaustausch treffen und sich gegenseitig auch auffangen, wenn ihnen wieder einmal die sprichwörtliche Decke auf den Kopf fällt. Der Kampf „gemeinsam gegen einsam“ dürfe nicht nur auf die zu pflegende Klientel bezogen werden, sondern auch auf die Betroffenen, die häufig mit der oft ganz plötzlich über sie hereinbrechenden Situation, Angehörige pflegen und aus ihrer Einsamkeit befreien zu müssen, überfordert sind. „Es ist niemandem damit geholfen, wenn pflegende Angehörige durch diese Überforderung und wegbrechende Kontakte selbst einsam werden. Dafür braucht es Strukturen“, so Fischer. Mit den Situationen des Alltags überfordert seien in zunehmendem Maße aber auch jüngere Leute und sogar Jugendliche, die in den auseinanderbrechenden Familienstrukturen zwar vielleicht nicht allein, aber durchaus einsam sein können. Auch ihnen gebühre das Augenmerk ihrer Mitmenschen.
Nach dem etwa 30-minütigen Impulsvortrag von Prof. Wendt berichteten die Kongressteilnehmer in einer von Dr. Winfried Kösters moderierten Gesprächsrunde über ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen zum Thema Einsamkeit, die danach in Kleingruppen im „World Café-Format“ weiter diskutiert wurden. Erörtert wurden dabei im wesentlichen Fragen, die sich damit beschäftigten, wie man einsame Menschen erreicht, welche Angebote es zur Vermeidung von Einsamkeit gibt und welche Botschaften mit einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne zum Thema „Gemeinsam gegen einsam“ transportiert werden können.
Zum Abschluss betonte Sebastian Fischer, wie wichtig es sei, Mitarbeiter von Wohlfahrtsverbänden zu schulen und für die Thematik Einsamkeit zu sensibilisieren: „Es gilt dabei, schon erste Anzeichen zu erkennen und proaktiv einzuordnen, nach Möglichkeit sollte Einsamkeit erkannt werden, bevor sie überhaupt entstehen kann.“
Caritas-Vorstand Eugenie Riffel zog aus Sicht ihres Verbandes ein positives Fazit der Veranstaltung: „Heute schreiben wir Geschichte, indem wir die Bewegung gegen Einsamkeit starten. Die Liga im Hochtaunus hat sich entschieden, im nächsten Jahr einen Nachbarschaftstag ins Leben zu rufen. Dieser soll alle Menschen zusammenbringen und hier sitzen heute sehr viele Institutionen, die einen Ort dafür anbieten können. Lassen Sie uns gemeinsam Pionier sein.“